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Die beiden Musiker, einer an der Gitarre, einer am E-Cello, liegen spielend auf dem Boden. Um sie herum diverse Gerätschaften für das elektronische Musikmachen. Das Foto ist schwarz-weiß.

Beim CAMP-Festival hat Ungewissheit Konzept. Daraus ganz besondere Festivaltage zu formen, liegt Thomas Maos und Fried Dähn besonders. Foto: H. E. Oelke

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Durchlässige Grenzen

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Die Musiker Friedemann Dähn und Thomas Maos über ihr interdisziplinäres CAMP-Festival
Vorspann / Teaser

Vor einem Vierteljahrhundert gründeten die Tübinger Musiker Friedemann Dähn und Thomas Maos das interdisziplinäre Musikfestival CAMP. Interdisziplinär ist das CAMP (Collaborative Arts and Music Project) deshalb, weil es sich mit visueller Musik profilierte. Zunehmend luden die Gründer Künstlerinnen und Künstler anderer Sparten ein, um neue komplexe Wege und Spielstätten zu suchen und auszuprobieren. Auch um den großen Aufwand zu bewältigen, holten die ursprünglichen Gründungsmitglieder Stefan Hartmaier und Martin Mangold ins Team, denn von 2005 an wurde das CAMP-Festival mit Veranstaltungsorten in Portugal, Kroatien, Rumänien, Bulgarien sowie 2013 im Salon Suisse der Kunstbiennale in Venedig international. In Deutschland warten weitere Aufgaben auf die Musiker und Familienväter: Der Cellist und Professor Friedrich Fried Dähn saß unverdrossen bis vor wenigen Wochen in der Württembergischen Philharmonie Reutlingen hinterm Notenpult. Der Gitarrist Thomas Maos ist als freier Musiker auf ungezählten Bühnen und von Bands gefragt. Bereits in diesen März-Tagen bereiten die ersten Künstler der zwölf Kulturschaffenden das 19. Festival in den Stuttgarter Wagenhallen vor. Das Festival vereint diesmal vom 4. September an fünf UkrainerInnen sowie Video-Künstler, Tänzerinnen und auch zwei bildende Künstler aus den USA, aus Lettland/Estland und aus Deutschland – und Stipendiaten der Kunststiftung Baden-Württemberg. Abermals also ein großes Experiment! Wir sprachen mit Dähn und Maos. Hier ein Ausschnitt des Gesprächs.

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neue musikzeitung: Wie nennt ihr eure Musik? Jazz? – Mal abgesehen von dem Begriff zeitgenössische Musik? Ich frage das auch im Hinblick darauf, was die Besucher auf dem CAMP-Festival erwartet.

Thomas Maos: Das kann man an unseren beiden Persönlichkeiten festmachen. Ich komme von der Rock-Musik, von Hendrix und so weiter. Fried und ich haben uns auf der Basis von Improvisationen kennengelernt. Das ist bereits mehr als 20 Jahre her. Fried stammt aus einem sehr engagierten musikalischen Tübinger Haus, er kommt aus der klassischen Musik und hat dann auch das Experimentelle gesucht. Wir haben uns nicht sofort gefunden.

nmz: Dabei hatte Fried doch bereits die Erfahrungen mit dem Komponisten Prof. Klaus Fessmann gemacht, der auf Klangsteinen spielte, die aus aller Welt stammten, oder mit Karlheinz Stockhausen, Heinz Holliger, Ornette Coleman oder Frank Zappa, die experimentell musizierten. Du, Fried, spieltest mehrere Jahre im Frankfurter „Ensemble Modern“ und bautest Anfang der 90er Jahre dein erstes elektrisches Cello. 

Fried Dähn: Ja, die Grenzen sind in den letzten 30 Jahren viel durchlässiger geworden. Was mich immer fasziniert hat an der Jazz- und Rockmusik, das war die Haltung der Akteure. Ganz einfach ausgedrückt spielt der Jazzer seine eigenen Töne, der Klassiker die eines anderen. In der Klassik geht es immer darum, die Vorstellung des oder der Komponistin so exakt wie möglich darzustellen. Im Jazz geht es um Individualität, Eigenständigkeit und Freiheit, wobei die Musik in unseren Köpfen fixiert war. Wir erarbeiteten völlig klar strukturierte Stücke und Abläufe. Was man heute leider oft vergisst: Improvisation hatte ganz lange ein völlig negatives Image, was man an der GEMA-Bewertung noch immer erkennt. Wenn du eine Komposition unter dieser Rubrik anmeldest, bekommst du ganz geringe Tantiemen. Wer keine Notationen ausarbeitet – und ich arbeite sehr häufig am Computer, – hat da schlechte Karten. Wobei sich nicht alle möglichen Spieltechniken, auch die in der neuen Musik, über Notationsprogramme wiedergeben lassen, sondern überwiegend harmonische und rhythmische Grundelemente. Vergessen wird heute oft, dass die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts, auch noch die unserer Ikonen Bach oder Mozart, phänomenale Improvisationen waren. Es wurde phantasiert, nicht improvisiert. 

Maos: In der Klassik geht es – zumindest wie ich es wahrnehme – vorrangig um Aufgabenverteilung, egal, ob es sich um ein Kammerorchester oder ein Symphonieorchester handelt, und dann gibt oder gab es den Komponisten, den Solisten und den Dirigenten. In der Popular-Musik wirkt alles in einem; von außen gesehen ist es ein Chaos. In einem kleinen Ensemble sind wir gleichzeitig unsere eigenen Komponisten, wir interpretieren unsere eigene Musik. Ich muss nicht auf mich fokussiert sein, aber es hat mit meiner Seele zu tun. Damit ist immer auch eine kulturpolitische Aussage verbunden – eine Haltung. Und wenn ich als „Klassiker“ auf die Bühne gehe und zum Beispiel Beethoven spiele, muss ich das nicht unbedingt gut finden, sondern es ist mein Job.

nmz: Man kann sich natürlich im besten Fall das aneignen, was man spielt. So sehr, dass es Deins wird. Vielleicht mit deiner Biografie, deinem Empfinden oder deiner Lesart…

Dähn: …das geht auch. Und manche Musiker können es dabei zu einer unglaublichen Perfektion bringen.

nmz: Auf Eurem letzten Album wirkt vieles bolerohaft. Ist das ein Prinzip Eurer Kompositionen?

Dähn: Da liegst Du richtig. Wir arbeiten mit Schichtungen, mit Loops und kleinen Bausteinen. Diese Platte ist so entstanden, dass wir im Studio zunächst improvisiert haben. Die Aufnahmegeräte liefen ununterbrochen. Im Nachklang wird ausgewertet, wird abgehört und über die Vokabeln nachgedacht: Hier, ja, ist etwas Interessantes, lass es uns weiterentwickeln – zunächst am Rechner werden die einzelnen Bauteile neu zusammengesetzt, eine neue Form entsteht, die dann wieder zur Grundlage wird für weitere Stimmen, Themen und Soli. Das ist etwa die Arbeitsweise.

nmz: Ist das auch Dein Begriff für die Entwicklung, Thomas?

Maos: Ich würde mich als intuitiver Musiker bezeichnen, der aus dem Spielen heraus etwas entwickelt. Ich kann gut schreiben, bestimmte Klischees kann ich natürlich notieren, aber es geht auch ums Klangliche, und wir haben unterschiedliches Kompositionsvokabular. Gelegentlich setzt man etwas frei. Fried schneidet dann mit Freude, wertet dann aber auch: die Stelle ist gut von Dir, die Stelle weniger gut.

Dähn: Und umgekehrt ist das genauso. Beim Titel „88“ hattest Du eine Elfersequenz, die sich nach elf Tönen mit einer anderen Betonung wiederholte, die Figur war von Dir bereits relativ klar gedacht. Als ich Deinen Beitrag erhielt, habe ich herumprobiert, bin dann aber harmonisch auf einen gänzlich anderen Weg gekommen. Das gemeinsame Ergebnis war dann völlig anders. Eine spannende Arbeitsweise.

nmz: Zurück zum Anfang, zum CAMP-Festival…

Dähn: Ich denke, dass uns beide das Entwickeln von multimedialen und musikalischen Konzepten verbindet. Deshalb ist das gemeinsame Organisieren auch stets der viel größere Teil. – Dass wir uns gesagt haben, wir wollen gemeinsam eine Konzertreihe entwickeln. Es ist gelegentlich eine völlig profane Angelegenheit zweier Unternehmer, zweier kreativer Köpfe, die Musik organisieren mit Menschen, die wir dazuholen aus allen möglichen kulturellen Bereichen und Disziplinen und Ethnien, der Lichtkunst, aus dem Tanz, der Wissenschaft.

Maos: Als ich angefangen habe, war der Zivildienst nach der Schule eine ganz wichtige Zeit. Damals habe ich jemanden getroffen, der Musik gemacht hat, der aber auch malte. Das war mein erster Kontakt zur Bildenden Kunst. Ich habe dann immer wieder bei Ausstellungen gespielt. Manche Künstler fanden das toll, und ich spürte, dass ich mich frei entfalten konnte.

nmz: Historisch gesehen, gibt es eine enge Korrespondenz zwischen den vielen Künsten, Stichwort „Bilder einer Ausstellung“. Erinnert sei auch an die Einladung des bildenden Künstlers Carlfriedrich Claus, der 1995 mit seinen Lautstudien und Klanggebilden bei den Donaueschinger Musik-Tagen auftrat und von vielen Kollegen verständnislos belächelt wurde. Die Lautpoesie von Claus ist über seinen Tod hinaus aktuell geblieben und hat auch die nmz mehrfach beschäftigt. Und das CAMP-Festival ist zwar nicht ganz so alt wie der 1998 gestorbene Claus oder Modest Mussorgsky, kann aber im Sommer sein 25jähriges Jubiläum feiern. Seit 1999 versammelte es 120 Künstlerinnen und Künstler aus 20 Ländern. Fried, kannst Du kurz die Stationen nennen?

Dähn: CAMP – das „Collaborative Art and Music Projekt“ fand in Kroatien, Rumänien, Bulgarien und natürlich in Deutschland seine experimentellen Spielstätten. Man erkennt den Schwerpunkt, obwohl auch Portugal und die Einladung zur Kunstbiennale in Venedig Höhepunkte waren.

nmz: Was hat sich mit den Jahren verändert? 

Maos: Da die Experimente diesmal nicht eine ganze Woche dauern können, wollen sich die Künstlerinnen und Künstler vor dem September kennenlernen, um die Projekte „vorzudenken“ und zu entwickeln. Denn zu den Erfahrungen gehört, dass die Gäste aus dem Bereich der Bildenden Kunst oft viel konzeptioneller denken und rote Fäden verfolgen. Was geblieben ist, ist die ungemeine Lust am Experimentieren, an gegenseitiger Offenheit, am Abenteuer. Das schließt auch das mögliche Scheitern mit ein. Neben dem kulturpolitischen Aspekt hat mittlerweile die sozialpolitische Zusammenarbeit eine weitere immense Bedeutung. Die habe ich entdeckt, als ich lange Zeit am Landestheater Tübingen mit Schauspielern gearbeitet habe.

Dähn: Was CAMP auszeichnet, ist die Lust am Abenteuer. Seit 1999 waren die Künstlerinnen und Künstler stets begeistert von dem Konzept. Um so wichtiger, wo doch überall wieder die Grenzen hochgehen. Wir hätten deshalb gern auch jemanden aus Russland eingeladen, aber es gibt eine Aufforderung aus der Ukraine, die das ausschließt. Die Offenheit ist nicht in allen Köpfen, sie passt vielen nicht.

Dies ist eine längere Version des im Print gedruckten Gesprächs.

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